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Das Land, wo Milch und Honig fließt, heißt Schlaraffenland, auch Schlaraffei genannt. Manche nennen es 'insulae forturiatae' oder auch Utopia. Die Schlaraffen, Bewohner und Besucher der Region, sind in der Regel Genußnenschen, Honigkuchenesser, Weintrinker, Musikliebhaber, aber träge Tänzer, da sie angeblich zur Schafsucht neigen sollen.
Andere Quellen behaupten, das Schlaraffenland sei ein Narrenreich, ein Narragonien, eine verkehrte Welt, in der alles anders zugeht als gewöhnlich. Wieder andere sagen: Die Schlaraffen oder auch Schluraffen sind einfach die Schlauren Affen.
In dieser Traum- und Kinderwelt ist seit jeher die Malerin Beate Haupt auf Erkundigung aus. Sie durchstreift das Märchenland, stets auf der Suche nach vergessenen Protagonisten. Sie ist den fetten Amoretten, Honigdieben, Kobolden und Zauberzwergen im dunklen Wald der Erinnerung auf der Spur; und auf jedem Ausflug wird sie tatsächlich fündig. Was sie von ihren Expeditionen aus dem verlorenen Paradies mitbringt und uns vorzeigt, sind allerdings Bildwerke besonderer Art. Sie sind weder lieblich, noch traumverloren naiv. Im Gegenteil: Sie wirken wie bemoostes Gestein, aus dem Sumpf gezogen, schorfig, schrundig wie eicht verheilte Wunden. In Utopias Asche und Lavaformationen muß man nach den Figuren suchen. Nur wer ein findiges Auge hat, entdeckt den Honigschlecker im bernsteinfarbigen Schrein oder den Sündenfall, eingesunken im Morast und Moorgelände, wo dennoch ein Glücksquell unterirdisch rumort.
Diese Bildwelt ist thematisch erst allmählich zu entschlüsseln. Sie fordert die Genauigkeit des Betrachterblickes heraus und konterkariert durch den Malstrom verhaltener Farben jedes naive Weltbild. Zeit wird vermalt und geschichtet. Darin liegt das Neue, Zeitgemäße dieser Malerei, daß sie die verschütteten Bildinhalte nicht einfach bloßlegt, sondern vielmehr einschreint bis zur Unkenntlichkeit im pastosen Malduktus des Farbmaterials. Es erscheint mir auch folgerichtig, daß die Malerin von ihrem reliefartigen Gemälden zu freiplastischen Arbeiten und Experimenten übergeht. Aber nur wer diese Farbschichtungen und Materialablagerungen durchdrungen oder gar aufgebrochen hat, kann etwas erfahren von Amor, Eros oder Cupido beim Honignaschen und von Bienen gestochen, ein Thema, das Melanchthon, Cranach und Hans Sachs einmal reizvoll fanden. Wer auch noch gute Ohren hat, behaupte ich obendrein, der wird auch noch den kleinen Amor mellifex flüstern hören: 'So leck ich lieber Honig, denn Wagenschmier', womit er geschmacksorientiert eine durchaus zeitlose Wahrheit ausspricht.
Beate Haupt ist allerdings an der Auffindung verblaßter Mythen und alter Bildthemen gar nicht so interessiert; jedenfalls sucht sie nicht danach, sie findet sie plötzlich: zum Beispiel jenen Honigdieb zu Füßen der lebensgroßen Venus von Lucas Cranach im Berliner Gemälde, wobei sie zweifellos sofort an Leo, ihren kleinen Sohn denkt.
Arwed D. Gorella
Berlin, Dreikönigstag 1999
Über Beate Haupt ist schon manch Zutreffendes und Kluges geschrieben worden. Insbesondere Arwed D. Gorella, ihr ehemaliger Lehrer an der Braunschweiger Kunsthochschule und ein `poeta doctus' unter den deutschen Malern, hat sich literarisch versiert und kenntnisreich - und einfühlsam - mit ihren Bildern zu Kinderspielen beschäftigt, die sie 1992 in Nürnberg zeigte. Gerade weil Gorella dies tat, ein Maler mit dem Wissen um die Tradition der Malerei, der die Aussagen seiner Bilder zitatreich kalkulieren kann, fällt bei Beate Haupt das krasse Gegenteil dazu auf. Auch sie erinnert sich, genauso wie Gorella, doch ihre Erinnerung folgt dem animalischen Zwang des Nicht-Vergessen-Könnens, während die Fragestellungen ihres Lehrers ohne einen geschichtlichen Hintergrund nicht möglich sind. Entsprechend extrem liegen die Ergebnisse Gorellas und Beate Haupts auch auseinander. Gorella ist ein Realist aus surrealen Gedanken, seine Schülerin eine Surrealistin aus dem Zwang, der Materie "Farbe" ein Bild der Erinnerung abzuringen. Deshalb sind ihre Bilder häufig auch, hebt man sie an, schon von Gewicht so schwer, weil die Künstlerin sie erst über und über mit Ölfarben bedecken mußte, um schließlich aus ihrer Seele die ganz individuelle Mythologie in die Farbmassen hineinzumodellieren.
Diese Erinnerungen an Kinderspiele und Elternsprüche, an Freundschaftspakte und naturhafte Bedrängnisse sind für sie nicht mit Hilfe von rationalen Erklärungen aufzubrechen und aus der Welt zu schaffen. Nein, reine Malerei allein muß - kann sie er-lösen. Ihre neuen Bilder wirken beinahe noch mehr als frühere eingepanzert durch getrocknete Farbhaut. Und ihre Motive, die sie im Titel des jeweiligen Bildes auch stets benennt, sind wie eingeigelt in die Farbberge drumherum. Die Menschen darauf sind wie zum Schutz umhüllt von Farbwegen.
Ein kleines Bild mit einem schweizerischen Motiv - sie nennt es Überall Berge - zeigt auch, wie eine Figur (?) bewegungsgehindert zwischen den Bergmassiven liegt - und Beate Haupt erklärt dazu, daß eine Freundin von ihr jeden Tag den Drang verspürt, hinaufzuklettern, um droben einmal Überblick zu finden. Indem Beate Haupt dieses Bedürfnis malt, beschreibt sie, wie sie zwanghaft aus den Verdikten der Kindheit hinauswill (Vom Küssen kriegt man Kinder oder Knotenmutter) oder wie sie andererseits die Bürde der Bedrängnis durch den anderen auch positiv empfinden kann (Der eine frißt den anderen).
Eine Künstlerin - und sicher für Beate Haupt eine Verwandte im Gefühl, was Malerei vermag, die Wienerin Maria Lassnig, hat die folgenden rigorosen Sätze geschrieben: «Als ich müde wurde, die Natur analysierend darzustellen, suchte ich nach einer Realität, die mehr in meinem Besitz wäre als die Außenwelt, und fand als solche das von mir bewohnte Körpergehäuse als realste Realität am deutlichsten vor..» Als "introspektive Erlebnisse" beschreibt Maria Lassnig, was sie seit 1949 dann gemalt hat. «Die Frage ist nur, ob realistische Erinnerungsassoziationen ausgeschaltet oder angewendet werden, das heißt, ob ich das Bein oder die Hand realistisch, wie ich es gesehen, male oder als Stab, wie ich es fühle, oder als Draht, Bindfaden, Wurst oder - gar nicht». Weil solche Überlegungen währen des Malens, kann man sich vorstellen, auch die viel jüngere Beate Haupt treiben, nützen Maria Lassnigs Worte vielleicht zur Erklärung. Beate Haupt malt das, scheint's, Unentwirrbare. Knotenmutter ist ein Kinderspiel, dessen Regeln sie sich kaum noch erinnert, doch es geht darum, daß Kinder sich verknoten und aus diesem Knäuel erlöst werden wollen. Zum Himmel oder zur Hölle führt dieser Weg, der von innen nicht zu beeinflussen ist. Diese Frage nach dem Wohin verknüpft Beate Haupt immer wieder, auch im Zyklus Vom Küssen kriegt man Kinder, mit ihrer Bildwelt. Hier "illustriert" die Künstlerin ihre Vorstellung von diesem Spruch, den einst die Großmutter zur Mutter sagte, um vor der Liebe Angst zu machen. Doch auch die beim Küssen gierig aneinander wie zu einem Schlund, aus dem dann sogleich kleine Menschenkinder purzeln, aufgerissenen Münder können in Beate Haupts Vorstellung Höllenschlund und Weltall zugleich sein. Denn ebenso andere Motive, so Der eine frißt den anderen und Fütterung, entsprechen der gleichen Vorstellung. Unser Wort "ich hab dich zum Fressen gern" ist höchste Liebesbezeigung, zugleich aber auch kannibalisches Begehren. Und die Fütterung der jungen Vögel einerseits, und das Verzehren der jungen Brut durch bestimmte Fischarten andererseits, von Beate Haupt auf Menschenmünder übertragen, bergen zwei Seiten einer menschlichen Regung. Selbst der Gefressene könnte sich Sehr zufrieden fühlen, ein anderer Bildtitel, der Geborgenheit suggeriert. Und sogar bei einer Art Auftragsarbeit aus Anlaß des Braunschweiger Jubiläums des legendären Patrons der Stadt, Heinrich des Löwen, spielt diese Ambiguität von Aufgefressen- und Geborgen-Sein ihre Rolle: der Löwe, das Symbol Heinrichs inmitten der Stadt, frißt den aus dem Schwanz wachsenden Menschen Heinrich auf. Wir wissen hauptsächlich über das Symboltier, nicht über die dahintergestandene Person von seinen Taten. Selbst die teilübermalten Landschaftspostkarten aus der Gegend von Lausanne fügen der Postkarten-Schönheit die ihr fehlende "Gegenschwere" pastos mit Ölfarbe hinzu.
Die Malerei von Beate Haupt schöpft aus dieser Unentschiedenheit der Erinnerung zwischen Gut und Böse, doch geht dies für die Künstlerin nur, weil sie sich ganz auf die Malerei einläßt, nicht auf die etwaige, vorgefaßte Erzählung. An der Atelierwand hängt eine Kunstpostkarte von Böcklins 1883 gemaltem Bild Spiel der Wellen. Wie dort der Malfluß die Frauenleiber auftauchen- und verschwinden läßt, wie Farbe als Materie dabei Bildwelten freigibt, so versteht auch Beate Haupt, der Farbe ihre erlebten Bildrätsel zu entlocken.
"Alles isf Spiel. - Das scheint billiger metaphosischer Ausdruck zu sein, lediglich Ohnmacht des Geistes; doch ist es die Weisheit, zu der Plato gekommen war, als er den Menschen ein
Spielzeug Gottes nannte."
Jan Huizinga: Homo ludens
Das Kind denkt in Bildern, bevor es Worte, Begriffe und die Schrift lernt. Wobei die wichtigsten Erscheinungsformen der Welterfahrung innerhalb des kindlichen Wahrnehmungshorizonts naturgemäß der Traum und das Spiel sind. Beide, Spiel und Traum, lassen sich nicht voneinander trennen, sondern greifen ineinander, überlagern und verschränken sich. Das Kind spielt, was es wachend träumt, und träumt spielend, was es von der Welt erfahren hat und sich wünscht. Neben der Ausbildung aller anderen Sinnesorgane steht das Sehenlernen im Zentrum seiner Aufgabenbewältigung.
Nicht von Ungefähr hat die Malerin Beate Haupt für den Umschlag ihres Katalogs das Tafelbild "Blinde Kuh" von 1991 ausgewählt. Es gibt den Titel für eine Werkauswahl von Bildern, die sich ausschließlich mit dem Thema "Kinderspiele" beschäftigen und verarbeitet Kindheitserinnerungen an ein alptraumhaftes Spiel vom blinden Kind, welches mit verbundenen Augen die anderen im Kreis suchen und greifen muß. In Griechenland heißt das Spiel BlinzeIauge; und unter Luthers Sprüchen findet man den Fragesatz: "...spielet ir also der blinden Kue mit unsern Seelen?" Aber die Künstlerin hat Metaphorisches gar nicht im Sinn, wenn sie malt und malend sich der Spiele ihrer Kindheit erinnert. Ohne sentimentale Sehnsucht nach der verlorenen, angeblichen Kinderseligkeit benutzt sie die Phantasiewelt der Kinderspiele und setzt sie in expressive Malerei um. Es gelingt ihr gewissermaßen unabsichtlich, die im Kinderspiel träumende Methaphysik, seine mythenbildende Kraft und Hellsichtigkeit, von der schon Jean Paul schrieb, für ihre Bilder produktiv zu machen. Was zu allen Zeiten Kindheitsoffenbarungen im freien oder geregelten Spiel über Entdeckungen und Erfahrungen von Welt und Wirklichkeit aussagen, formuliert die Künstlerin in ihrer Malerei neu, stellt es auf den Kopf, verkehrt es in sein Gegenteil, geht ihrerseits spielerisch mit dem Material um und bereichert es mit aktuellen Bezügen: eine "verkehrte Welt" zeitloser Märchen und Mythen, aber aufgefüllt mit Jetztzeit und prall voll vom Willen zur Selbstbehauptung des Kindes. So wird aus dem Opfer des "Blinde-Kuh-Spiels" unversehens ein Riesenkerl, der den Bildraum beherrscht, ein Held der Tat und der Triebkraft, während die Schar der Mitspieler, zu Ameisen verzwergt, den Koloß zwicken, wie einst die Bewohner des Landes Liliput Swifts Gulliver zergten. Nebenbei läßt das Bild des riesenhaften Kindes mit den verbundenen Augen an die blinden Seher denken, wie Tiresias etwa, der beides war, männlich und weiblich, dem die Gegensätze von Licht und Finsternis verborgen blieben und der vielleicht darum im Dunkeln seines Inneren die Menschen und ihr Geschick erkennen konnte.
Betrachten wir ein anderes Bild: "Baumkletterer" heißt es und thematisiert das magische Interesse, das ein Kind zum Baumklettern anspornt, zum lustvollen Schaukeln in den Zweigen zwischen Himmel und Erde. Aber das Bild erhält durch die malerische Ausführung eine ganz andere Aussage. Der Baumkletterer gleicht eher einem entsetzten, im Stacheldrahtnetz gefangenen und verwundeten Kind. Diese Doppeldeutigkeit und "verkehrte Welt" in den Bildern von Beate Haupt, diese Widersprüche zwischen Bildtitel und malerischer Gestaltung sind nicht immer auf den ersten Blick auszumachen. Sie sind weder geplant noch kalkuliert, sondern stellen sich ein im vitalen Prozess des Malens, weil nichts nur schöne Kinderei sein darf, romantisierte Erinnerung, sondern knallharte, ausdrucksstarke Formulierung über den Willen des Kindes, sich die Welt zu erobern.
Höchste Expressivität der Farben und Formen, der Einzelteile wie der Komposition werden dazu benötigt. Und die Malerin nimmt sich, was sie findet: die in der Barockmalerei erprobte Untersicht der Figuren in den Deckenfresken beispielsweise (Glockenrock und Eierlauf). Sie wird in ihrer Theaterhaftigkeit konterkariert durch die Einbeziehung von Merkmalen einer naiv religiösen, ursprünglichen Votivmalerei der Bauern (Der Plumpsack geht um). Selbstverständlich sind für die Malerin die Kinderkunst, die Kunst Afrikas oder des deutschen Expressionismus und der sogenannten "Neuen Wilden" inspirierende Bezugspunkte. In der Regel aber greift sie auf ihre eigenen Kindheitserfahrungen zurück.
Ein Gemälde wie das "Mohrenkopfessen" erinnert zweifelos an Emil Noldes "Abendmahl" und zwar weniger in der malerischen Formulierung, sondern eher in der religiösen Grundstimmung, die sich eigenartiger Weise auch im "Mohrenkopfessen" wiederfinden läßt. Während Nolde uns das Abendmahl wie gewohnt in Frontalsicht zeigt, sehen wir hier in direkter Aufsicht von oben herab auf das "Mohrenkopfessen" mit dem Blick des selbstvergessenen Gottes, der dem Spiel seines Spielzeugs zuschaut.
Berlin Moabit, Mai 1992 Arwed D. Gorella
Tagtäglich auf uns einströmende Bilderfluten haben unser Sehen verändert.
Diese Art Bilder mit ihren glatten, versiegelten Oberflächen, Bilder, die sich penetrant ins Blickfeld schieben und noch aus dem Augenwinkel erfasst werden können, weil sie genau dafür gemacht zu
sein scheinen, lassen das Auge ungeduldig und das Sehen flüchtiger werden.
Einer solchen Beschleunigung des Sehens stehen die hier gezeigten Werke der Malerin Beate Haupt entgegen. Der an schnelles Vorübergleiten gewohnte Blick verfängt sich auf den pastos bedeckten
Leinwänden und Skulpturen. Er gerät ins Stocken. Wir wähnen uns in einer Zeitschleife, ja sogar außerhalb der Zeit.
Erinnern die schrundigen Oberflächen doch an vergangene Bildsprachen, wie den Tachismus, an Werke des späten Corinth oder an den Franzosen Eugène Leroy, den Beate Haupt zu ihren künstlerischen
Anregern zählt.
Das sich die in Wolfenbüttel geborene und an der Kunsthochschule in Braunschweig bei Lienhard von Monkiewitsch und Arwed D. Gorella ausgebildete Malerin auch durch die Bildsprache der Neuen
Wilden hindurchgemalt hat, wird besonders im Frühwerk deutlich und bleibt an einigen Stellen weiterhin sichtbar.
Wer daraufhin in Beate Haupt lediglich eine künstlerische Wiedergängerin vermutet, täuscht sich. Sie arbeitet an einer gänzlich eigenen Bildsprache, welche sich jedoch nur dem offenbart, der den
Werken jene Zeit widmet, die sie einzufordern scheinen.
Was sehen wir?
Zunächst die Malerei selbst mit ihrer Textur und Farbigkeit. Ihr Werden ist weitgehend offengelegt. Immer konzentriert auf ein Bild - sie arbeit fast nie an mehreren Bildern gleichzeitig -
schichtet Beate Haupt in einem langen Prozess Farben auf die Leinwand. Diese gelangen direkt von der Tube auf das Bild oder wurden aus Pigmenten und Leinöl gemischt und aufgetragen. Mit heftiger
Geste wühlt sich die Malerin immer wieder mit dem Pinsel durch das sich langsam zum Relief auftürmende Farbmaterial, formt Figuren, verändert oder übermalt sie, hinterlässt dabei Furchen, Grate,
glatte und geschundene Felder. Die fortwährende Bewegung der Farbmassen über die Leinwand vermengt die Farben. Sie verwandeln sich in erdig anmutende oder ergraute Flächen und Hügel. Gegen diese
Töne setzt Beate Haupt eine breit gefächerte Buntfarbigkeit, die mit den verbliebenen, noch unvermischten Schlieren im Farbgemenge in Schwingung gerät. Haupts Bilder bleiben lange in Bewegung.
Erst allmählich, beim Prozess des Trocknens beginnen sie zu verkrusten, ja zu versteinern. Ein Eindruck, der ihre Arbeiten, so scheint es zumindest, in die zeitliche Dimension von geologischen
oder biologischen Prozessen rückt. Selbst wenn solche Naturphänomene in ihrer Arbeit nicht direkt thematisiert werden, sondern die Natur immer im Bezug zur menschlichen Existenz gesehen wird, so
ist dieser Existenz - und das weiß Beate Haupt - die Wandlung oder Metamorphose eingeschrieben. Die Künstlerin arbeitet an einer malerischen Entsprechung für eine solche Wandlung, für das Werden
und Vergehen.
Vor diesem Hintergrund wird ihr Interesse am Motiv der im Wasser treibenden Ophelia aus Shakespeares Hamlet erklärbar. Es beschäftigt Beate Haupt schon längere Zeit und findet sich in
verschiedenen Variationen in der Berliner Ausstellung. Über die Auseinandersetzung mit jener tragischen Frauengestalt aus Shakespeares Hamlet, die aus Verzweiflung über die Wesensänderung ihres
Geliebten und den Tod des Vaters dem Wahnsinn verfiel, ins Wasser ging, und als "Schöne Leiche" vor allem in der Kunst des 19. Jahrhundert auftauchte, nähert sich Haupt dem Thema der Wandlung
aber auch dem des Todes.
Das Spannungsverhältnis von Eros und Thanatos, das eng mit dem Ophelia-Motiv verbunden ist und der schönen Frauenleiche eine Bedeutung als passives und damit beherrschbares Objekt oder als
Fetisch zuschreibt, ist für Beate Haupt weniger von Interesse. Sie vollzieht den Tod und das Vergehen des Körpers, durch das Auflösen seiner Formen in Farbe nach. Eine für die Malerin tröstliche
Annäherung an das Thema des Todes.
Für den Blick des Betrachters versinkt Ophelia zwischen jenen Farbmassen aus denen die Künstlerin sie zuvor geformt hat. Der Farbe kommt dabei nicht die traditionellen Aufgabe zu "alle anderen
Materialien auf der Bildfläche zu illusionieren", wie Monika Wagner in "Das Material der Kunst" (München 2001, S.17) schreibt. Die Farbe ist für Beate Haupt autonomes Material, das innerhalb des
Mediums Malerei auf sich selbst verweist. Auch in diesem Sinne ist ihre Malerei pur. Sogar wenn sie sich von den reliefartigen Leinwänden löst, um freistehenden Skulpturen zu formen, bleibt der
Bezug zur Malerei und der mit ihr verbundenen Zweidimensionalität erhalten. Wie das Tafelbild, haben auch diese plastischen Arbeiten eine Rückseite. Während die Köpfe das Grenzgebiet zwischen den
künstlerischen Genres Skulptur und Malerei beschreiben, lotet Haupt in den Arbeiten der Folge "Zwitterbilder" den Moment des motivischen Übergangs aus, dem wiederum das Thema der Wandlung
eingeschrieben ist.
In dieser Serie verfolgt sie das Changieren zwischen Gesichtern und Landschaften. Die Austauschbarkeit des Bildsujets betont die Autonomie der Malerei an sich, die mit den Möglichkeiten der
Darstellung zweckfrei spielt. Wohl daher hat die Künstlerin den Titel der Bildfolge als Ausstellungstitel gewählt. Er beschreibt über die sexuelle Konnotation hinausweisend, jenes Dazwischen,
jene Unbestimmtheit, die für sie eine Art der Freiheit und eine ihrer künstlerischen Quellen ist.
Wenn sich Beate Haupt, wie sie es häufig tut, mit Mythen und Erzählungen auf Werken der Alten Meister auseinandersetzt oder sich, wie beim Ophelia -Thema auf das bekannte Gemälde des
Präraffaeliten John Everett Millais bezieht, dann deshalb weil ihr die Bildlösungen für die Umsetzung der Themen als Anlass und Anregung für das eigene Arbeiten dienen. Sie verleibt sich die
Werke ein, um sie als eigenes Bild wieder auf die Leinwand zu bringen.
Das sich diese eigenen Bilder nicht gleich preisgeben, nicht schnell zu konsumieren sind, wie anfangs schon erwähnt, hängt wohl mit der Lust der Malerin an jenem Changieren zwischen Figuration
und Abstraktion zusammen, welche den Betrachter mit der malerischen Auflösung der Bildfiguren konfrontiert. Es bedarf, je nach Intension des Sehens, einige Zeit, bis sich den Augen die zwischen
den Farben verborgenen Figuren zeigen.
Das Hineinlesen von Figuren in Farbflecken und Pinselschwünge erinnert an das kindliche Schauen, das alle optischen Eindrücke in die eigene Phantasiewelt transformiert und die alltägliche
Umgebung von den Wolkenformationen bis hin zu Kleiderhaufen mit verschiedensten Wesen bevölkert. Für den kindlichen Blick scheint es keine Abstraktion zu geben.
Beate Haupt hat sich diese Art des Schauens bewahrt. Neben der Malerei selbst, ist auch diese Art des Schauens Motor ihres künstlerischen Arbeitens.
Susanne Greinke, Kunstwissenschaftlerin, Berlin, November 2010
Zu den früheren Bildwerken, die man schon 1994 von Beate Haupt sehen konnte, zählten aparte, teils mit Ölfarbe ergänzte Collagen aus je zwei bis vier Ansichtspostkarten gleicher Sorte, sozusagen die Vervielfältigung eines Postkartenmotivs aus den Schweizer Alpen, wo die Künstlerin damals mit einem DAAD-Stipendium in Lausanne studierte. Beate Haupt verlängerte die schneebedeckte Präsenz der zackigen Bergmassive und erweiterte mit wenigen pastosen Ölfarb-Ergänzungen die karge Bergwelt ins Geheimnisvolle.
Schon zuvor hatte sie während ihres Studiums bei Arwed D. Gorella an der Braunschweiger Kunsthochschule auf großen Formaten die beängstigende Größe der Welt aus der Sicht der Kinderaugen festgehalten. Von "Kinderspielen, Honigdieben und Sündenfällen" erzählten ihre Ausstellungen. Und wer nur ein bißchen mit der älteren Kunstgeschichte vertraut ist, weiß, dass diese Titel nicht nur Beate Haupts Motive charakterisieren, sondern auch auf berühmte Motive alter Meister verweisen.
Beate Haupt häuft mittlerweise so viel Farbe übereinander, dass aus Malerei schnell ein Relief wird. Sie malt Bilder, doch diese streben seit langem in die dritte Dimension. Sie benutzt Ölfarbe wie Kinder den verschieden farbigen Werkstoff "Plastelin". Indem sie malt, schafft sie auch (Bild-)Körper. Die Figuren und Szenen, die Beate Haupt malt, sind von einer Sur-Realistin gemalt, die der Materie "Farbe" ein Bild der Erinnerung abringt. Ihre Bilder, hebt man sie an, sind schwer. Doch sind sie schwer nicht nur an Gewicht. Die Künstlerin bedeckt ihre Bildträger über und über mit der schweren Ölfarbe, als wolle sie aus ihrer Seele ihre ganzen individuellen Mythologien in die Farbmasse hinein modellieren. Nichtumsonst hat die traditionsreiche Münchner Galerie van de Loo, die einst die urwüchsige Künstlergruppe Cobra durchsetzte, heute ihrem Programm Beate Haupt hinzugefügt.
Auch die neuen Bilder und skulpturalen Bildwerke, die sie jetzt im Salon Salder zeigt, nehmen ihren Anlass oft in den wenigen Ausrissen markanter Reproduktionen alter Meister aus einem Buch oder einer Zeitung, wie sie sie, beiläufig nur, an der Wand ihres Braunschweiger Ateliers befestigt hat. Sie braucht diese Anregungen - keineswegs, um sie "kongenial" umzusetzen, eher, um aus den keineswegs harmlosen Bildwerken der Alten, den "Quellnymphen", der ertrinkenden Ophelia, den erotischen Jagden eines Rubens, dem "Spiel der Wellen" eines Arnold Böcklin "Schwimmende", "Schlafende" , vielleicht auch Tote zu formen, jedenfalls solche Figuren, denen das "Körperliche in seiner ganzen brutalen und rohen Offenheit", wie es Rubens für seine Zeit zu zeigen versuchte, nicht mehr erschreckend ist oder stimulierend. Beate Haupt schafft (daraus?) vielmehr sich behauptende Bildwerke, sie schafft Malerei pur. Und sie gibt diesen Bildern, neuerdings oft Köpfe, ganz selbstbewußt eigene Titel, etwa wenn sie "Schau nicht zu tief in deinen grauen Schlund" heißen, oder "Streck dem Leben die Zunge raus".
Da Beate Haupt ja in ihrer Malweise eher wütet denn dass sie die Farbe verwaltet, entstehen dabei manchmal Mischungen aller Farben, die der Bildoberfläche schließlich einen grau-violetten Glanz geben können, andererseits erscheint ein Bild nach "Spiel der Wellen" in klaren Farben, trotz der bei der Künstlerin stets hohen Schwarz-Anteile.
Die Bewegung einer Schwimmerin kann sich extrem reduziert haben zu einem Bildrelief, das nur noch aus Rumpf und einem auftauchenden Arm besteht. Die Malerei von Beate Haupt schöpft aus der Unentschiedenheit ihrer Erinnerung zwischen Noch-Vorhanden und Nicht-mehr-da, zwischen Gut und Böse, doch gilt dies für die Künstlerin nur, weil sie sich ganz auf die Malerei einläßt, nie etwa die Absicht hat, mit dem Bild etwas planvoll zu erzählen.
Beate Haupts Werk, oberflächlich betrachtet, mag mancher tachistisch finden. Das wäre falsch. Beate Haupt malt gegenständlich, indem sie ihre Bilder aus den tachistischen, den fleckhaften Malschichten heraus gewinnt. Ihre Bilder mögen auf den ersten Blick unlesbar erscheinen. Aber es sind Szenen, Bewegung, Auseinandersetzung mit dem Menschen. Ihre materielle Farbverwendung erinnert gelegentlich an den späten Lovis Corinth. An die über und über farb-verkrusteten Paletten und Maltische in den Ateliers. Auch der fast unbekannte Geheimtipp, der 1910 geborene französische Maler Eugène Leroy, hat dies Geheimnis, das Beate Haupt auch hat. Ihre Bilder sind aus der zweiten Dimension in die dritte gekommen - und manchmal auch noch viel weiter.
Ludwig Zerull
Der Wald rauschte. In diesem Wald war immer ein Rauschen in der Luft, ein gleichmäßiges, langgezogenes Rauschen wie der Widerhall eines fernen Klanges, ruhig und verworren zugleich, wie ein Leises Lied ohne Worte, wie eine undeutliche Erinnerung an etwas lang, lang Vergangenes; denn es war ein uralter, dichter Wald oben erscholl, ohne Ende und Unterbruch, das Waldesrauschen wie ein immerwährendes Aufseufzen des alten Forstes......
Wladirnir Korolenko | Der Wald rauscht
Über fremde Länder zu schreiben ist verwandt mit dem Schreiben über das Werk eines Künstlers. Von beiden, dem Land und den Kunstwerken, hat man meist bestimmte Vorstellungen, die sich oft auch sofort bestätigen, wenn man vor Ort eintrifft oder zum erstenmal vor den Bildern steht. Am ersehnten Ziel angelangt zu sein reicht, um die Erwartungen erfüllt zu sehen. Dann wechselt der Tag, wechselt das Licht, wechselt der betrachtende Blick, und verblüfft stellt man fest, daß man Land und Bild beim ersten Betrachten ganz falsch gesehen hat.
Von Beate Haupt hatte ich zuerst zwei frühe Kataloge in der Hand, in denen hauptsächlich ihre "Kinderspiele" abgebildet sind, Spiele, die mir fast alle unbekannt sind, norddeutsche Spiele möglicherweise, solche, die man im Braunschweigischen spielt vielleicht. Lustige Seifenbläser, Baumkletterer, Mohrenkopfesser, Eierläufer, Wattepuster und Topfschläger tummeln sich auf diesen Bildern, sind auch mal abgehoben in einen österreichisch barocken Himmel, tanzen dort schwebend Reigen oder springen im Himmelblau Seil. Mein erster Gedanke: die Künstlerin erinnert sich ohne Befangenheit an unbeschwerte Kindheitstage und -spiele. Mein nächster Gedanke beim Blättern: endlich wieder eine, die malt, und das mit Vehemenz und unbändigem Temperament. Zwar glaubte ich das eine oder andere Vorbild zu erkennen: den frühen Baselitz, Norbert Tadeusz, Nolde vielleicht, Klaus Fußmann wohl auch; James Ensor und Chaim Soutine kamen mir in den Sinn. Francesco Clemente, Gustav Kluge und Marlene Dumas nennt sie selbst. Doch ist schon in diesen frühen Bildern, die immerhin vor dem dreißigsten Lebensjahr gemalt wurden, eine unverkennbar eigenständige Handschrift auszumachen und eine ungeheure Lust am Malen zu erkennen.
Im Nachhinein gesehen gab es ja vielleicht schon beim ersten Anschauen dieser dem Anschein nach vergnüglichen Bilder den Verdacht, man habe sich durch die fröhlichen Titel in die Irre führen lassen. Erinnerte nicht manches - jedenfalls in der Verkleinerung der Abbildung - allzusehr an volkstümliche Votivmalerei? Und die gibt sich ja nicht gerade mit der Beschwörung angenehmer, gar sonniger Begebenheiten ab. Ihr Anlaß ist vielmehr eine als schrecklich und ausweglos empfundene gegenwärtige oder vergangene Gefahr, in der der Gefährdete ex voto seine Bitt- oder Danktafel malt, um Gott, die Jungfrau oder einen der Heiligen um Beistand zu bitten oder für die bereits erfolgte wundersame Rettung zu danken.
So stellt man denn auch beim Wiedersehen der Bilder - eigentlich nicht mehr allzu verwundert - fest, daß man sich gewaltig hat in die Irre führen lassen. Was man als Reminiszenz einer heiter-kindlichen Vergangenheit mißverstanden hat, ist wahrlich kein Beschwören schöner Erinnerungen, vielmehr handelt es von - augenscheinlich gescheiterten - Versuchen einer Selbstbehauptung gegen stärkere Kombattanten. Die Regenbogen-Engel, die Achim von Arnim in der Volks- und Kinderpoesie am Werke sieht, sind es nicht, niedergestiegen, um den großen Riß der Welt zu heilen, aus dem die Hölle uns angähnt. Ganz im Gegenteil gähnt einen die Hölle an aus diesen Bildern, zum Exempel aus Halsweh in Schöppingen, der furchterregenden Riesenkrake | beide 1993 gemalt | oder der Fütterung. Wollten Sie etwa an der in einen ausweglosen Sog mündenden Schnitzeljagd von 1991 beteiligt sein? Oder gar das Riesenkind, das im selben Jahr gemalt wurde, als Schubkarre bewegen oder so im Sandkasten stehen wie das Mädchen im Sandkasten? Wenn man dann auf ein Bild stößt wie das ebenfalls 1993 gemalte Wir kommen aus dem Mohrenland, die Sonne hat uns braun gebrannt, wir haben sooo große Ohren, dann bleibt das Lachen beim Betrachten dieser zum Kreuz geordneten Vier aus dem Mohren-Morgenland im Halse stecken, und man hat den Verdacht, die Malerin wolle einen auch diesmal wieder aufs Glatteis führen - eigentlich ist man sich dessen ganz gewiß - auch wenn man nicht so recht weiß, wohin sie einen in diesem Falle schlittern lassen will.
Als Darstellungen, die sich mit Kindern und ihren Spielen beschäftigen, erweisen sich diese frühen Bilder der Beate Haupt fraglos; wirklichkeitsnah und unverblümt sind sie und auch grausam | wie nur Kinder sein können |. Beate Haupt braucht und gebraucht sie "aus dem Zwang des Nicht-Vergessen-Könnens", wie Ludwig Zerull im Vorwort zum Katalog L'un mange l'autre schreibt, wie sie auch die anderen in diesem Katalog abgebildeten Darstellungen - vergleichbar mit dem im dunklen Raum gegen die Angst Anpfeifenden - zur Befreiung zu nutzen versucht von den Obsessionen, die hervorgerufen wurden durch die rätselhaften und gefährlichen Geheimnisse, die ihr die Erwachsenen sagten, die sie aber als Kind nicht begreifen konnte, so daß ihr noch heute ihre Nächte von unerträglichen Phantasien bevölkert sind, in denen der eine den anderen frißt | von ihr gemalt 1994 |. In diesen Kontext gehören wohl auch die Fütterung und die verschiedenen Variationen von En s'embrassant an attrape des enfants | Vom Küssen kriegt man Kinder I aus dem Jahr 1993 sowie die Sündenfälle, beredte Beispiele für die Anstrengung einer Selbsttherapie und keineswegs nostalgische Rückschauen. Ohne Pathos, durch unaufhörlich beschwörendes Be-Zeichnen ihrer Ängste, versuchte Beate Haupt dieser Beklemmungen Herr zu werden, den quälend immer wiederkehrenden Albtraum zu bannen, "in die Grube zu fallen und von den Würmern gefressen zu werden", wie es zum Beispiel noch dem Hirten geschehen kann, der mit seinen Kühen über den Hohlweg zieht, in dem sich das Gewürm windet. Diesem Gewürm der Nacht will sie entkommen und sie kann ihm nur durch Malen entkommen, indem sie ihre Ängste immer wieder darstellt und von einem gemalten Stellvertreter überwinden läßt, der allerdings manchmal zwei Schutzengel braucht, wie sie in einem ihrer Bildtitel formuliert.
Inzwischen hat sich nicht nur ihre Malweise verändert. Weitab jedes herkömmlichen Realismus ist sie zu einer Darstellung gelangt, in der sie den zähen Farbbrei auf ihre Bilder gewaltig dick aufträgt, ihn nicht vermalt, son-dern - wenn auch mit dem Pinsel - eher modelliert, daß er morastig und schrundig auf der Leinwand steht wie ein grober Mauerbewurf. Lasuren, die in den frühen Bildern in den Hintergründen jedenfalls noch vorkamen, läßt sie sich jetzt nicht mehr durchgehen. Die Figuren wirken wie eingemauert, werden solange durchwühlt und immer wieder neu modelliert, bis sich endlich ein Gesicht, ein Körper, eine Hand, eine Figur herausbilden, die den gewünschten Ausdruck haben, das ersehnte "innere Leuchten". Nur wenn die Figur zur Zufriedenheit geraten ist, wenn sie wie ein Relief auf dem Malgrund steht, nimmt sie sich des Restes an, der dann, weil nicht immer mit derselben Intensität gestaltet, leichter erscheint, so daß zum einen eine gewisse Zweidimensionalität entsteht, zum andern eine Perspektive, die sich aber in der Regel auf zwei Ebenen beschränkt.
Als ich die seit 1996 gemalten Bilder zum ersten Mal sah, hatte ich spontan eine ganz unwiderstehliche Vorstellung von Wald, daß ich den Wind in den Wipfeln der Bäume hören und Moos und Farn und Harz riechen konnte, als sei ich unversehens hineingeraten in das Wirrsal der Ranken und Schlingkräuter des Stifter'schen Hochwaldes und den rauschenden Wald des Korolenko, wie ein immerwährendes Aufseufzen des alten Forstes, und ich empfand ein Wohlsein beim Betrachten dieser Bilder, das diesmal von der Künstlerin offensichtlich auch gemeint war. Es war aber nicht nur das Farbengewühl von Braun, Grün, Blau, Grau und Violett, das in mir diesen starken Eindruck hervorrief, es war auch die Stimmung in diesen Bildern, als sei darin etwas wie die Seele des Waldes sichtbar geworden. So sehr sah ich den Wald, daß ich mich nach den Titeln gar nicht erkundigte, weil ich Rübezahl und Faun erkannte | und kein Rumpelstilzchen und keine anderen narrenden Geister |, und die gewohnten Farbklumpen und Wirbel und Schrunden erschienen mir mit einem Mal so weich, daß sie geradezu dazu aufforderten, sich darin zu lagern. Welch eine Veränderung! Es gab nur noch wenig Bedrohliches: den schon genannten Hirten und den einen oder anderen Sündenfall, auch die Brunft | spielend aber in einem ganz besonders wunderbaren Tann |. Der Rest war ungefährliches Gebiet, der Rübezahl stellte sich als Honigdieb heraus, Prinzessinen und Geschwister liebten sich und tanzten Hand in Hand, es wurde geküßt | Der kleine Kuß | und es fanden sich Glücksquell und Liebesquell, und beide speisten sich aus einer neuen Zweisamkeit, die bisher im Werk der Beate Haupt nicht vorkam.
So wird offenbar, daß sich Beate Haupt hat freimachen können von den Hirngespinsten und Angstphantasien, den "zwanghaften Verdikten der Kindheit", die Ludwig Zerull in den frühen Bildern zurecht erkannte. Die Welt der Beate Haupt scheint freundlicher geworden zu sein, mancher Seelenballast ist offensichtlich abgestreift. So gerät ihr sogar die Faunenfamilie aus dem Jahr 2000 zur Familienidylle, und man kann vermuten, daß diese Faunen gegen ihre sonstige Gewohnheit keinen Wanderer äffen wollen und auch die ihnen nachgesagte ungehemmte Triebhaftigkeit durchaus im Griff haben.
Wenn Beate Haupt früher in ihren Bildern als unglücklich und hoffnungslos Agierende erschien, hat man bei den neuen die Hoffnung, ja die Gewißheit, sie betrachte nun das Geschehen auf der Leinwand gelassen von außen. Sie hat offensichtlich einen, ihren, schützenden Wald gefunden. Hierzu - und nicht zuletzt zur Qualität ihrer Bilder - ist ihr zu gratulieren.
Konrad Oberländer